… dort die Brücke überqueren und zurück im Schatten der hohen, den Fluß säumenden Bäume, auf den Bänken Fußgänger, ausruhende, essende, telefonierende, lesende, aufschauend, wenn der Hund plötzlich und warum auch immer bellt, unvermittelt, als wollte er etwas mitteilen, vielleicht ist seine Spielfreude zu groß, vielleicht langweilt er sich?
Gehen, weil das Schreiben mißlingt und nicht in Gang kommen will, gehen als Beruhigung, als Trost über ausbleibende Einfälle oder als Flucht vor der Leere, gehen auf Späteres hin, als stellte sich dort auf nicht wunderbare Weise etwas ein, das große Thema zum Beispiel, die Zuversicht, es wäre zu bewältigen, und daß dabei Neues beginne, eine Phase intensiven Schreibens, ein Aktivsein, das lange nicht war. Seltsam bei allem, daß sich die Gedanken ablenken lassen, in Dienst nehmen vom Üblichen des Weges, im Grunde ist Gehen nur gehen, kein Nachdenken oder Herausfinden, gar Präzisieren vager Absichten, und so steht am Ende des Weges mit dem beschäftigten Hund nichts da, das zum Schreiben einladen, es wenigstens in Gang setzen würde oder einfach notwendig machen – es bleibt gehen im Äußeren, ein Aufschieben, vielleicht sogar Ausblenden, Unterdrücken notwendiger Gedanken, ein Schauen, das vor allem ein Achten auf den Hund ist, ein Verbieten seines freundlichen Gebells, ein ihm Halt Sagen an der Straße, die zu überqueren ist, ein ihn an die Leine Nehmen in gefährlichen Situationen, ein Eingespanntsein in alltägliche, nichtssagende Dinge, bloßes Gehen, nichts weiter.
So einfach ist diese Bewegung von A nach B oder von früher nach später, eine Bewegung am Fluß mit dem Hund, er mal vor, mal hinter mir, er in anderer Bewegung als ich, er abgelenkt, ich abgelenkt, er konzentriert auf die Spuren am Wege, ich auf den Weg, er, der stehen bleibt, schnüffelt, pinkelt, zurückgeht, erneut riecht, ich dagegen in gleichbleibendem Tempo, nicht gemächlich, nicht schnell, selten auf den Hund wartend, der freudig hinterher springt, wenn er zulange gestanden hat, und zügig aufholt, mit Stöckchen oder ohne.
Bei Regen gehe ich schneller, schneller als der Hund, dem der Regen nichts ausmacht, der vielmehr so geht, als regne es gar nicht, im Grunde geht er immer so, ob es regnet oder nicht. Bei Zeitdruck gehe ich schneller, obwohl das selten der Fall ist, sehr selten, denn ich verfüge über genügend Zeit, wenn ich mit dem Hund gehe und mir vornehme, über Ideen und Gedanken nachzudenken, wenn ich versuche, nicht auf den Weg zu achten, den ich mit dem Hund laufe, und mich abzuschotten von allem Äußeren, das mit dem Weg zu tun hat, mich also ganz und gar auf das konzentriere, das mit dem Schreiben zu tun hat, mit den Vorbereitungen darauf, die mich, obwohl abwesend, erdrücken, mir die Luft nehmen und mich lähmen auf dem Wege mit dem Hund.
Bei starkem Regen oder sehr schlechtem Wetter fällt der Gang am Fluß aus. Ich hüte dann die Wohnung, sitze vor dem Rechner, öffne eine leere Datei – nichts. Ich denke nach, überlege, der Hund an der Seite, schlafend, brummend, zuweilen bellend bei Geräuschen im Hausflur – nichts. Die leere Seite im Rechner nimmt bedrohliche Formen an, ich tippe einen Satz, lösche ihn, tippe einen zweiten, lösche auch diesen, einen dritten und so fort. Oder suche nach Abwechslung im Netz, surfe ein wenig, bleibe irgendwo hängen, stelle irgend etwas fest, für Minuten gelingt die Ablenkung. Doch die leere Seite kommt zurück, wie eine Mahnung erscheint sie auf dem Schirm, erwartet Wörter, Sätze, Absätze …
Statt Wörter, Sätzen, Absätzen leere Seiten ohne Wörter, Sätze, Absätze. Einerseits ein Zwang, ein Druck zu schreiben, und andererseits die Leere, die Datei ohne jegliche Wörter, Sätze, Absätze. Natürlich ist mir bekannt, daß man nicht drauflos schreibt, sondern Vorbereitungen trifft, Vorüberlegungen anstellt, Pläne macht, Drehbücher anlegt, so daß, im Grunde genommen, das Schreiben der letzte Akt eines langen, sehr langen Prozesses ist, ein Zusammenfassen, ein Resümieren, vielfaches Abgleichen also. Veränderungen wird es dabei geben, ohne Frage, ja, womöglich Überraschendes und unerwartete Wendungen, die mit dem Text zu tun haben, mit den Sätzen, die häufig klüger sind als der Autor. Mithin ein gewaltiger Prozeß, der dem Schreiben vorausgeht, und durch bloßes Schreiben nicht zu ersetzen ist.
Auch nicht durch ein Schreiben, das ich komplex nenne, und das heißt Hinschreiben, Redigieren, erneutes Schreiben, wieder korrigieren bis irgendwann die Sätze makellos stehen, unverrückbar, nicht mehr zu verbessern. Offenbar sind die gedanklichen Vorüberlegungen auch hier nicht einzuholen, nicht zu ersetzen durch dieses endlose Überarbeiterei. Was hier ebenso fehlte, ist der Unterbau, das Fundament, und damit die Sicherheit, die sich aus dem größeren Wissen ergibt. Überhaupt, das größere Wissen! Ist es die Gewißheit, daß ein Wort nur an bestimmter Stelle stehen darf, nur dort und anderswo nicht? Oder daß eine Person nur hier und nirgends sonst auftreten, teilnehmen und ihre Energie einbringen darf?
Ist dem so, dann ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Selbst dieser kleine Untext ist, da ihm alles fehlt, was für sein Gelingen unabdingbar wäre, zum Scheitern verurteilt: die Vorüberlegungen, das größere Wissen, die traumähnliche Gewißheit auf der richtigen Spur zu schreiben. Entmutigt sehe ich jetzt zum Hund, der neben dem Schreibtisch döst. Und ab und an hochblickt und freundlich wedelt dabei – und beginne, verzweifelt und glücklich zugleich, mit dem Schreiben erneut.