Neutöner
Von seinem Platz aus verfolgt T. das Tun der Musiker vor dem Keyboard. Sie hören, beratschlagen und wägen ab, sie schütteln gelegentlich die Köpfe oder lachen sich erleichtert zu. Wenn einer der beiden eine Melodie vorgibt und dazu den Rhythmus klopft, hört der andere zu. Er wird gleich, denkt T., nicken, vielleicht ein Ok, gut! äußern oder ein Na, klar!, um sodann das Gehörte nachzuspielen, und schließlich, wie bisher nach solchen Sequenzen, die Hände von den Tasten nehmen und den Blick des anderen suchen. Entsteht so, fragt sich T., Übereinstimmung, ein gemeinsames Werk?
Ihre Sprache erscheint ihm technisch und distanziert, sie hat wohl wenig mit der Musik zu tun, mit der Wirkung, die sie erzielen soll, dagegen viel. Mit der Wirkung, die in Gefühl und Begeisterung umzuschlagen hat und augenblicklichen Rausch, mutmaßt T. auf seinem Stuhl. Aber noch ist das Optimum nicht erreicht, der Melodiengeber bittet um Wiederholung der letzten Takte, doch dieses Mal bitte das Tempo langsamer und die Akkordfolge verändert! Noch ist ja den Monitoren über den blanken Keyboardtasten das zuletzt Eingespielte abzulesen, die zur Notenschrift gewordenen Ideen, denkt sich T., diese tastenden Arbeitsgänge, die Takt um Takt und Schicht um Schicht auf ein Ziel zugehen, das den Musikern doch vorschweben muß als vages, fernes Ganzes, das sich allerdings noch verweigert, als wollte es sich nicht benennen lassen. Es wird sich längst, sinniert T., in den Schichten abgelagert haben, die der Rechner unermüdlich aufzeichnet und zu einem tönenden Palimpsest fügt.
T. schaut zu den Kiefern im Sonnenlicht vor dem mannshohenFenster, es ist ein endlos blauer Tag, eine Weite, die ihm wie wunderbare Musik ist. Er hatte Interesse an der Arbeit der Musiker bekundet und darum gebeten, der Sitzung beiwohnen zu dürfen. Von seinem Platz aus, gewissermaßen aus zweiter Reihe, hört er ihnen zu, beobachtet sie und ihre Gesten, die die Schritte des Vorwärtsgehens begleiten und kommentieren. Wie sie sich verständigen! Mal müssen die Akkorde schweigender und dunkler sein, dann wieder hell, ein Tonwert ist zu lang oder zu verzögert, es gilt, Hinleitungen plausibler zu machen oder die große Melodie strategisch besser vorzubereiten! All die Einfälle und Korrekturen werden über die Tastatur des Rechners eingegeben, die der Keyboardspieler praktischerweise schon auf den Knien hält und sofort zur Seite legt, um das Verabredete im Spiel zu überprüfen, wobei der andere zum Fenster sieht und wohl hörend überprüft.
T. ertappt sich dabei, nach Worten zu suchen. Er spürt eine Lust, sich zu beteiligen und Vorschläge zu machen, ja, Ideen zu äußern, die ihm durch den Kopf gehen wie unerwartete, doch konkrete Ahnungen. Zu seiner Verwunderung weiß er mit einem Male genau, doch woher, wie dieser Ablauf und jene Modulationen zu verändern wären, um ins Ziel zu kommen, ja, es ist ihm, als habe er plötzlich eine Vorstellung des Ganzen, nach dem gesucht wird. Gelegentlich hatte er sogar, von den emsigen Musikern vor ihm unbemerkt, den Finger gehoben als zaghaften Hinweis, etwas sagen zu wollen, etwas, das ihre Suche abkürzen und sie mit Sicherheit dem Optimum näher bringen würde. Er hat vielleicht sogar schon den Mund geöffnet und einen ersten Laut hervorgebracht, der aber im wiederholenden Spiel untergegangen war. Schließlich hat T., einem merkwürdigen Impuls folgend, beschlossen, nichts dergleichen zu tun; ihm war plötzlich bewußt geworden, wie lächerlich er sich gemacht hätte, mitzureden, ohne die Sprache der Musiker wirklich zu beherrschen. Sein Blick ist daraufhin wieder zu den Kiefern gegangen, die im Sonnenlicht vor dem Fenster stehen, er hat, wie vor Augenblicken noch, den endlos blauen Tag auf sich wirken lassen wollen, dann aber feststellen müssen, daß sich dem Bild inzwischen eine seltsame Erfahrung beigemischt hatte, eine dieser Ohnmachten, nämlich einer Sache völlig sprachlos gegenüber zu stehen, sie also, obwohl sie doch kaum klarer und vertrauter sein konnte, nicht benennen zu können.